Hans-Georg Gadamer ist einer der prominentesten deutschen
Philosophen der Gegenwart. Er gilt als Begründer einer neuen
Hermeneutik, neu gegenüber der traditionellen Hermeneutik von
Schleiermacher und Dilthey, auch der normativen Hermeneutik E.
Bettis. Sein wichtigstes Werk ist "Wahrheit und Methode:
Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik" (Tübingen
1960). Er ist freilich mehr als das. Er ist Philosoph der noch
allgemeineren hermeneutischen und sprachlichen Erfahrung, die
sich nicht nur in Geisteswissenschaften, sondern auch in Kunst
und im Alltag findet.
Gadamer wurde am 11. Februar 1900 in Marburg a.d. Lahn geboren.
Er verbrachte seine Jugend- und Schulzeit in Breslau. Gadamer
studierte in Breslau, Marburg und München Philosophie,
Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte. 1922 promovierte er
bei P. Natorp und N. Hartmann in Marburg. Die Begegnung mit
Martin Heidegger im Jahr 1923 lieߠihn doch den Neukantianismus
verlassen. Nach dem weiteren Studium bei Heidegger und Paul
Friedländer (Philologie) folgte 1929 die Habilitation bei
Heidegger, ebenfalls in Marburg.
Nach einigen Jahren als Privatdozent in Marburg und Kiel erhielt
Gadamer 1937 einen Ruf als a. o. Professor nach Marburg. Von 1939
an lehrte er als ordentlicher Professor in Leipzig und war zwei
Jahre nach dem Krieg als Rektor tätig. Gadamer fand 1947 eine
Professorstelle in Frankfurt und trat 1949 in Heidelberg die
Nachfolge von Karl Jaspers an. Dort lehrte er bis zu seiner
Emeritierung 1968 und lehrt dort weiter freiwillig. Heidelberg
ist auch heute noch sein Wohnsitz.
Gadamer hat nicht nur einen grossen Ruf als Denker, sondern galt
auch als hervorragender Lehrer, der während seiner langen und
intensiven Tätigkeit als Hochschullehrer einen grossen Kreis von
Schülern um sich versammelte, die heute zum Teil selbst als
ausgezeichnete Philosophen und Lehrer tätig sind wie Walter
Schulz, Dieter Henrich und Reiner Wiehl. Gadamers Lehrtätigkeit
beschränkte sich nicht auf Deutschland. Er hielt nach der
Emeritierung Volesungen und Seminare im Ausland, besonders in den
U.S.A., Kanada und Italien.
Gadamer war ein Schüler Martin Heideggers in dessen Freiburger
und Marburger Zeit (1923-1928). Sein hermeneutisches Denken ist
von der Heideggerschen Philosophie geprägt. Auch einige Motive
aus der antiken Philosophie, worüber er lange arbeitete, z. B.
Platos Dialektik, Phronesis gegen Techne bei Aristoteles, und der
antike Realismus, wurden in seine Hermeneutik integriert.
Sein Hauptwerk "Wahrheit und Methode" fand weltweite
Beachtung. Seine Hermeneutik beeinflusste nicht nur das
philosophische Denken, sondern wirkte auch auf
Literaturwissenschaft, Theologie, Soziologie u.a. ein. Unter den
zahlreichen Veröffentlichungen Gadamers finden sich Schriften
über Celan, die Vorsokratiker, Plato, Cusanus, Hegel, Heidegger,
Oettinger und viele andere. Sie befassen sich mit Aesthetik,
praktischer Philosophie, Humanismus, Sprache, Vereinsamung und
Freiheit. Grosse Beachtung erfuhren seine öffentlichen Debatten
mit Jürgen Habermas 1967 bis 1971 und mit Jaques Derrida 1981.
Gadamer ist Mitglied mehererer in- und ausländischen Akademien,
Herausgeber und Berater vieler philosophischen und philologischen
Zeitschriften und wurde von vielen Preisen wie Hegel-Preis
geehrt. Zwischen 1985 und 1995 erschien die Ausgabe der
gesammelten Werke Gadamers bei Mohr in Tübingen.
Bibliographien:
Autobiographien: Philosophische Lehrjahre (Frankfurt a.M., V.
Klostermann, 1977; GW10), "Selbstdarstellung" (1977,
GW2).
Eine umfangreiche Bibliographie von Grondin (Montreal), die auf
viel persönlichen Briefwechseln, öffentlichen Dokumenten u. a.
beruht, erschien neulich. Jean Grondin, Hans-Georg Gadamer: Eine
Biographie, Tübingen, Mohr, 1999, 437S., ISBN: 3-15-146855-4.
Bibliographien: (Primärliteratur) Gadamer-Bibliographie
(1922-1994), von Etsuro Makita, Frankfurt am Main, P. Lang, 1995.
(Primär- und Sekundärliteratur): "Bibliografía de y sobre
Hans-Georg Gadamer", von José M. Aguirre, in: Scriptorium
Victoriense [Spanien], Jg. 39 (1992) , S. 300-345.
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