東京理科大学 経営学部 研究室 巻田研 巻田悦郎 著作目録


Gadamer-Konferenz, Juli 1995, Heidelberg

Etsuro Makita (Tokyo-Rika Universität)
Gadamer und die Bultmannsche Schule
Zur Entstehung seiner Hermeneutik


Fragestellung
Wie ist Gadamers Hermeneutik entstanden? Gadamer war Heidegers Schüler und ist lange unter seinem großen Einfluß gestanden. Deshalb ist Heidegger am wichtigsten, wenn man nach der Entstehung der Hermeneutik Gadamers fragt. Aber Gadamers philosophische Aufnahmefähigkeit ist so groß, daß man andere verschiedene Einflußverhältnisse befragen kann. Eines von solchen möglichen Einflußverhältnissen ist die Bultmannsche Schule.

Hypothese
Meine Hypothese ist, daß Gadamer unter der Einwirkung der Bultmannschen Schule seine eigene Hermeneutik entwickelte. Der Zweck meines Referats ist aber nicht diese Hypothese zu beweisen, nur sondern sie wahrscheinlicher zu machen.


Zunächst rede ich von arbeitsgemeinschaftlichen Beziehungen zwischen Gadamer und der Bultmannschen Schule, dann gehe ich auf inhaltliche Gemeinsamkeiten zwischen beiden.


Inhalt:

A. Entschluß und Mitarbeit
1. Entschluß
2. Die theologische Debatte um die Hermeneutik
B. Inhaltliche Entsprechungen
1. Sache und Vorverständnis
2. Gespräch
3. Selbstverständnis
4. Tradition und Wirkung
5. Immer neues Verstehen
Zum Schluß



A. Entschluß und Mitarbeit

1. Entschluß

Akademieantrittsrede
Gadamer hat sich Anfang der 50er Jahre entschieden, eine hermeneutische Theorie zu entwickeln.
"Ich hoffe, aus vielen verstreuten praktischen und theoretischen Versuchen am Ende einmal eine Theorie der Hermeneutik entwickeln zu können, die über Dilthey und den Historismus hinaus das hermeneutische Problem in den größeren Zusammenhang einer geschichtsphilosophischen Fragestellung rückt."*1
Das ist ein Zitat aus Gadamers Antrittsrede, die er 1951 vor der Heidelberger Adademie gehalten hat. 1950 kam er nach Heidelberg und konnte sich endlich auf seine eigene Forschung konzentrieren. Das war bestimmt ein Anlaß zu diesem Entschluß. Sein Plan ist nach 8 Jahren unter dem Titel Wahrheit und Mehode verwirklicht worden.

Geschichtsphilosophie
Dem Zitat gemäß soll Gadamers eigene Hermeneutik das hermeneutische Problem in die geschichtsphilosophische Fragestellung rücken. Was ist aber "die geschichtphilosophische Fragestellung"? Er meint damit m. E. zwei geschichtsphilosophische Aufsätze, die er in den 40er Jahren geschrieben hat, d. h. "Das Problem der Geschichte in der neueren deutschen Philosophie" (1943 vorgetragen) und "Die Grenzen der historischen Vernunft" (1949). In diesen Aufsätzen betont Gadamer die Konsequenz der Heideggers Hermeneutik der Faktizität gegenüber dem Historismus. Dies wurde tatsächlich in Wahrheit und Methode zur grundlegenden Einsicht.

Hermeneutik
In den 50er Jahren verbindet Gadamer diese Geschichtsphilosophie mit der Hermemeneutik. Woher ist ihm die Idee der Hermeneutik gekommen? Im 2. Aufsatz von Über die Ursprünglichkeit der Philosophie (1948) verteidigte Gadamer die Wissenschaft gegen die methodologische Reduktion. Mit der Wissenschaft scheint Gadamer hier noch Natur- und Geisteswissenschften zusammen zu meinen. Aber in den 50er Jahren hat Gadamer versucht, die Wahrheit in den Geisteswissenschaften zu rechtfertigen.

2. Die theologische Debatte um die Hermeneutik

Parallele Entwicklung
1950, ein Jahr vor Gadamers Entschluß, hat Bultmann "Das Problem der Hermeneutik" veröffentlicht. Davon gereizt haben seine Schüler Ernst Fuchs und Gerhard Ebeling in den 50er Jahren zur Hermeneutik geschrieben. Fast parallel dazu entwickelte Gadamer seine eigene Geisteswissenschaftslehre. Er hat 1953 "Wahrheit in den Geisteswissenschaften", 1956 "Was ist Wahrheit?" und auch die Urfassung von Wahrheit und Methode geschrieben. Ist diese Parallele ein reiner Zufall?

Später lernen
Gadamer hatte von seiner Marburger Zeit ab lange mit Bultmann eine enge persönliche Beziehung. Aber: er sagt: "es war erst später [als die Marburger Zeit], daß ich meine eigenen theologischen Studien vertiefte und von Bultmann lernte." (PL: 37). Wann war denn dieses "später"? Meiner Vermutung nach war es in den 50er Jahren, wo evangelische Theologen im heftigen Streit um die Hermeneutik und den historischen Jesus waren.

Derselbe Diskussionskreis
Als Gadamer nach Heidelberg kam, fand er seine innere Stütze in der Diskussion mit den Heidelberger Theologen wie Günther Bornkamm, Campenhausen, von Rad u. a. (PL: 168). Außerdem nahm Gadamer an der sogenannten Bultmann-Konferenz (Theologische Arbeitstagung Alter Marburger) mehrmals teil. 1957 hat Gadamer selbst auf dieser Konferenz ein Referat "Ethos und Geschichtlichkeit" gehalten und mit Bultmann sowie anderen diskutiert. Überdies verfaßten Ebeling, Fuchs und Gadamer Artikel für 3. Auflage von RGG*2. Diese alle Sachen zeigen, daß Gadamer zu demselben Diskussionskreis gehört hat wie die Bultmannsche Schule.

Mohr
Bultmanns Glauben und Verstehen und Fuchs' und Ebelings Gesammelte Schriften wurden bei Mohr in Tübingen veröffentlicht. Gadamers Hauptwerk und seine Kleine Schriften sind auch bei Mohr erschienen. 1950 wurde Zeitschrift für Theologie und Kirche wiederbegründet. Ebeling war ihr Herausgeber und zwar ihr Verlag ist wieder Mohr. 1953 begründete Gadamer mit Helmut Kuhn Philosophische Rundschau. Der Verlag ist auch hier Mohr. RGG ist auch die Veröffentlichung von Mohr.


B. Inhaltliche Entsprechungen
Gadamer hatte mit Bultmann und seinen Schülern persönliche sowie arbeitsgemeinschaftliche Beziehungen. Wenn Gadamer wirklich von der Bultmannschen Schule beeinflußt wurde, dann muß es zwischen beiden auch Entsprechungen in ihren Behauptungen.

Unterschiede zu Bultmann
Gewiß ist Gadamers Unterschied zu Bultmann relativ groß.
1. Schleiermacher und Dilthey wurden bei Bultmann als die Hermeneutiker positiv beurteilt, die den Historismus überwunden haben, aber sie sind beide bekanntlich von Gadamer heftig kritisiert.
2. Bultmann faßt Heideggers Philosophie als Existenzphilosophie auf, während Gadamer sie als Philosophie des Seins versteht.
3. Die Geschichte und die Geschichtlichkeit stehen bei Bultmann gegenüber. Die Geschichtlichkeit bedeutet für Bultmann, unabhängig vom Geschichtsverlauf vorantwortlich zu leben (GE: 172). Sie ist der Augenblick der Entscheidung. Bei Gadamer dagegen sind die Geschichte und die Geschichtlichkeit zusammenzusetzen. Die Geschichtlichkeit bedeuet für ihn, daß man von der Geschichte getragen ist. 4. Die Sprache spielt bei Bultmann keine wichtige Rolle, aber bei Gadamer ist sie das Medium der hermeneutischen Erfahrung.

Bultmann und seine Schüler
Aber bei Fuchs und Ebeling ist die Entfernung von Gadamer nicht so groß. Fuchs und Ebeling verwenden zwar wie Bultmann existentialistische Begriffe wie Entscheidung und Verantwortung. Jodoch sie betonen beide die Sprachlichkeit der Wirklichkeit und unterordnen der Sprache und Tradition das Selbstverständnis.

Methode und Wissenschaft
Fuchs und Ebeling legen mehr Wert auf die Methodologie als Bultmann. Fuchs sieht einen Zug der existentialen Interpretation in methodologischem Verfahren (PthH: 134) und Ebeling betont die hermeneutische Bedeutung der historisch-kritischen Methode und verlangt von der Theologie, die von ihr ermöglichten Kontrollierbarkeit und Wissenschaftlichkeit ernst zu nehmen (GVK: 79. Vgl. KGA: 9) [Zitate 1]. Ferner fragen Bultmann und Fuchs im Anschluß an Dilthey, wie in den Geschichtswissenschaften eine objektive Erkenntnis möglich ist (PH: 228; PthH: 118, 135) [Zitate 2].

Über die Methode hinaus
Bei Gadamer dagegen sind Wissenschaft und Methode negative Begriffe. Die Methode ermöglicht zwar Gewißheit, aber nicht Wahrheit (WM: 465, WW: 230). Es geht in den Geisteswissenschaften um die Erfahrung, die weit über die methodische Gewißheit hinausgeht und deswegen nicht wiederholbar ist. Gadamer hat deshalb keine erkenntnistheoretische Frage mehr gestellt. Dennoch bestehen zwischen Gadamer und der Bultmannschen Schule bemerkenswerte Gemeinsamkeiten: 1. Sache und Vorverständnis, 2. Gespräch, 3. Selbstverständnis, 4. Tradition und Wirkung, 5. Immer neues Verstehen.


1. Sache und Vorverständnis

Sache
Wie die Wendung wie "Sachen, von denen im Text die Rede ist"*3 zeigt, das Wort "Sache" bedeutet bei Gadamer den Inhalt des Textes. Bultmann verwendet oft dasselbe Wort im gleichen Sinne: "Sache...um die es sich im Texte handelt"*4. Gadamer behauptet, den Text nicht als Lebensausdruck, sondern im Recht seiner Sache zu verstehen. Bultmann legt den Bezug zur Sache dem Verstehen zugrunde.

Interesse an der Sache und historisches Verstehen
Gadamer sagt, das Verstehen ist zunächst die Verständigung über eine Sache*5. Bultmann sagt etwas Ähnliches: Das erste Interesse des Verstehens liegt in der vom Text direkt vermittelten Sache*6. Bei beiden ist das Verstehen der Sache primär und das historische Verstehen nur sekundär [Zitate 3]. Und das historische Verstehen führt bei beiden zum eigentlichen Verstehen aufgehoben [Zitate 4]. Fuchs und Ebeling denkt es ähnlich. Nach Fuchs ist die exitentiale Interpretation das Korrektiv zum historischen Verstehen (ZhP: 85) und für Ebeling ist die historische Auffassung nur eine Bedingung für die personale Begegnung mit der Geschichte (BhM: 33f., KGA: 11).

Vorverständnis
Nach Bultmann versteht der Interpret den Text immer mit einer bestimmten Fragestellung. Dies nennt Bultmann "Vorverständnis" und macht es zur Voraussetzung des Verstehens. Z. B.: Nur wer Begriffe von Staat und Recht hat, kann politische Geschichte verstehen. Auch für Gadamer machen die Vorurteile des Interpreten und seine Geschichtlichkeit die historische Erkenntnis nicht schwer, sondern möglich. Außerdem behaupten Bultmann und Gadamer beide nicht, beim Verstehen das eigene Vorverständnis auszuschalten, sondern dessen sich bewußt zu machen und es aufs Spiel zu setzen [Zitat 5].

Zugehörigkeit
Vorverständnis haben bedeutet, daß man im voraus das Lebensverhältnis mit der Sache des Textes hat. Der Begriff des Lebensverhältnisses ist Gadamers Begriff der Zugehörigkeit verwandt. Bei Bultmann und Gadamer ist der Interpret mit der Sache der Überlieferung verbunden und gehört dazu. Und beide behaupten, nur der, wer in der Geschichte steht, kann sie verstehen. [Zitat 6]

2. Gespräch

Vorrang des Hörens
Bultmann und Gadamer beide geben dem Hören den Vorrang gegenüber dem Sehen. Bultmann sagt, daß man Gott nicht sieht sondern hört, d. h. man objektiviert Gott nicht, sondern begegnet ihm aus der Existenz. Fuchs sagt Gleiches. Für Gadamer ist das Hören ein Weg zum Ganzen, weil wer angeredet wird, hören muß [Zitate 7].

Verstehen als Gespräch
Wie das Vorwort zu Jesus zeigt, betrachtet Bultmann die historische Erkenntnis als Gespräch [Ziate 8]. Gadamer vergleicht auf gleiche Weise die Textauslegung mit dem Gespräch (WM: 360, 365) und beschreibt ferner Verstehen selbst als Dialektik von Frage und Antwort (WM: 356).

Rückverwandlung ins Wort
Das Hören hat Vorrang auch vor der Schriftlichkeit. Der Text ist etwas Geschriebenes und deshalb muß hörbar gemacht werden, d. h. in ein mündliches Wort zurück verwandelt werden. In diesem Punkt sind Fuchs, Ebeling und Gadamer ganz einig [Zitate 9]. Bei ihnen herrscht folglich die Metaphorik der Mündlichkeit wie rufen, sprechen, anreden und hören. [Zitate 10].

3. Selbstverständnis

Einverständnis und Vorentscheidung
Bultmann hat die Tendenz, das Selbstverständnis gegenüber allem Objektiven zu verselbständigen. Daran übten Fuchs und Ebeling Kritik aus. Fuchs macht das Selbstverständnis vom sprachlichen Einverständnis abhängig. Wir verständigen uns immer schon in unserer Sprache und das Selbstverständnis ist in diesem Einverständnis verwulzelt. Für Ebeling ist die Entscheidung eines Individuums durch die Tradition voraus getroffen. Z. B.: Ob man Protentant oder Katholik ist, ist durch die Geburt und Gesellschaft in großem Maßen bestimmt.

Verstehen einer Sache
Dies entspricht genau Gadamers Stellung [Zitate 11]. Gadamer sagt: Das Selbstverständnis geschieht immer im Verstehen einer Sache, so daß das Selbstverständnis kein Selbstbesitz sein kann*7. Das Selbstverständnis ist es, was uns die Gesellschaft und der Staat, zu denen wir gehören, geben*8.

4. Tradition und Wirkung

Überindividueller Zusammenhang
Tradition ist bei Ebeling ein Zusammenhang, die die individuelle Existenz vorausgeht und transzendiert (GKV: 35). Gadamers Kritik an Dilthey zeigt, daß er dazu eine gleiche Stellung nimmt. Dilthey geht von Erlebnisse aus und kann damit die überindividuellen geschichtlichen Realitäten wie Gesellschaft und Staat nicht angemessen begreifen (WM: 261). Für Gadamer wie für Ebeling sind die Geschichte und Tradition überindividuell, da sich die Geschichte oft gegen Absichten individueller Handelenden entfaltet (WM: 353f.).

Gegenwärtige Vergangenheit
Nach Ebeling ist die Tradition eine lebendige Vergangenheit, die in der Gegenwart fortwirkt, kurz gesagt, gegenwärtige Vergangenheit. Einen ähnlichen Begriff findet man bei Gadamer. Die Überlieferung erreicht uns sprechend und wird damit ein Teil der gegenwärtigen Welt (WM: 156, 368). Und der Interpet hat verstehend daran teil (WM: 369f.) [Zitate 12]. Zudem bestimmt bei Ebeling und Gadamer die Tradition als Norm unser Verhalten [Zitate 13].

Wirkung aus der Distanz
Das historische Bewußtsein macht uns unseres Abstandes von der Vergangenheit bewußt. Warum kann man aber um die Vergangenheit wissen, wenn uns das Wort der Überlieferung nicht erreicht? Z. B. das Urchristentum ist nach Fuchs zwar ein Phänomen in einer uns fremden Zeit und zwar selbst geschichtsfeindlich, aber wirkt als Neues Testament geschichtlich auf unsere Zeit (HSG: 163). Gadamer auch redet von der Wirkung der Geschichte aus der Distanz [Zitate 14]. Anders gesagt, die Vergangenheit ist für uns zugleich fremd und vertraut. [Zitate 15]. Was für Gadamer charakeristisch ist, daß er denkt, daß die Tradition der historischen Forschung ihre Themen und Gegenstände gibt (WM: 267, 284).

5. Immer neues Verstehen

Das Modell der Übersetzung
Bultmann, Fuchs, Ebeling und Gadamer klären übereinstimmend am Modell der Übersetzung Verstehen und Auslegung auf. Es handelt sich beim Übersetzen darum, die Sache des Originals in eine fremde Sprache zu übertragen. Aber da Form und Inhalt der Sprache nicht zu trennen sind, kann die Übersetzung notwendigerweise Gewalt und Kompromisse einschließen [Zitate 16].

Immer neu
Nach Bultmann bleibt die Interpretation des Textes offen, da der Sinn der Schrift erst in der Zukunft deutlich wird (IvEm: 149). Ebeling betont im Anschluß an Bultmann, daß die Bibel immer neu und anders verkündigt sowie ausgelegt wird, weil der Inhalt des Textes in die Situation des Predigers und seiner Hörer übertragen werden muß und diese Situation veränderlich ist. Gadamer sagt etwas Ähnliches aus demselben Grund, daß sich der Anspruch des Textes in der Situation der jeweiligen Auslegung zur Geltung bringen muß: "Ein Text [wird] nur verstanden... wenn er jeweils anders verstanden wird"*9. [Zitate 17]

Verstehen als Geschehen
Für Fuchs und Ebeling stellt Verstehen keine rein erkenntnistheoretische Handlung dar, sondern ein Geschehen (ZhP: 78, Vgl. GKV: 14). Das Christusgeschehen wird bei Verstehen und Predigen nicht als historische Tatsasche beobachtet, sondern muß jetzt und hier wieder wirklich geschehen und der Prediger sowie seine Hörer sind daran beteiligt (GKV: 67). Ebenso wurde Verstehen bei Gadamer als Geschehen bestimmt (WM: 293, 378). Das Verstehen ist das Überlieferungsgeschehen, in dem die Vergangenheit mit der Gegenwart vermittelt wird. [Zitate 18]

Umschlag des Selbstverständlichen
Nach Fuchs ist das Einverständnis für den Interpreten selbstverständlich und wird aber durch die Geschichte ins Frage gestellt (HSG: 137f.). Verstehen ist eben der Umschlag des Selbstverständlichen. Das hat Entsprechung bei Gadamer [Zitate 19]. Gadamer denkt, der Interpret ist sich sonst seiner Vorurteile nicht bewußt. Aber die Überlieferung spricht ihn an und stellt diese Vorurteile fragend ins Offene (WM: 355f.). Die Vorurteile werden dadurch in Geltung suspendiert und zum Bewußtsein gebracht.


Zum Schluß

Nun möchte ich zu einem Ergebnis kommen.

Wahrscheinlichkeit der Hypothese
Wie wir jetzt gesehen haben, es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Hermeneutiken. Wenn man diese Gemeinsamkeiten zusammensieht, kann man sie nicht mehr für zufällig halten. Gadamer hat fast parellel zur Bultmannschen Schule ihre hermeneutische Theorie entwickelt. Außerdem hat Gadamer mit Bultmann und seinen Schülern zusammen diskutiert und gearbeitet. Wenn man diese Sachen alle einbezieht, kann man meine Hypothese nicht einfach ablehnen: daß Gadamer unter dem Einfluß der Bultmannschen Schule seine Hermeneutik entwickelte.

Weiterentwicklung
Bultmanns Hermeneutik ist eine existenzialistische, aber bleibt noch der Hermeneutik Diltheys verwandt, wie sein Buch Geschichte und Eschatologie zeigt. Fuchs und Ebeling suchten zwar, seinen Begriff des Selbstverständnisses zu überwinden, aber halten noch an der Wissenschaftlichkeit fest. Ebeling bleibt im Rankeschen Ideal der Selbstauslöschung sowie in Diltheyschen Begriff des Geistesgeschichte befangen. Fuchs' Hermeneutik war wie bei Gadamer vom späten Heidegger ausgeprägt, aber sie ist zum Inhalt des Neuen Testaments zu eng verbunden. Gadamer hat diese theologische Hermeneutik philosophisch begründet und von Heideggers Philosophie aus weiter entwickelt.

Im philosophischen Bereich
Gadamer hat die theologische Hermeneutik in eine philosophische und allgemeine Hermeneutik verwandelt. Aber seine Hermeneutik ist mehr als die philosophische Entsprechung der theologische Hermeneutik. Der gleiche Gedanke hatte im neuen Feld unvergleichbare Einwirkungen und Reaktionen hervorgerufen. Denn es ist in der philosophischen Geisteswissenschaftslehrenoch skandalös gewesen, von Notwendigkeit der Vorurteile, Autorität der Überlieferung, und Wirkung auf den Verstehenden zu reden.

So wäre es.



BIBLIOGRAPHIE

H.-G. Gadamer ,Das Verhältnis der Philosophie zu Kunst und Wissenschaft', in: Über die Ursprünglichkeit der Philosophie, Berlin, Chronos, 1948; S. 29­30.
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R. Bultmann
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,Ist voraussetzungslose Exegese möglich?' (1957), in: Ebd., S. 142­150. = IvEm
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Ernst Fuchs
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,Was ist existentiale Interpretation A' (1952), in: Ebd., S. 65­90. = WeIA
,Was ist existentiale Interpretation C' (1958), in: Ebd., S. 107­115. = WeIB
,Was ist existentiale Interpretation B' (1959), in: Ebd., S. 91­106.
Hermeneutik, 4. Auflage, Tübingen, J.C.B.Mohr, 1970 (1. Auflage, 1954). = HSG

Gerhard Ebeling
Kirchengeschchte als Geschichite der Auslegung der Heiligen Schrift, Tübingen, Mohr, 1947. = KGA
,Die Bedeutung der historisch-kritischen Methode für die protestantische Theologie und Kirche', in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, Bd. 47, 1950, S. 1­46. = BhM
,Die Anfaenge von Luthers Hermeneutik', in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, Bd. 48 (1951), S. 172­230.
Die Geschichtlichkeit der Kirche und ihrer Verkündigung als theologisches Problem, Tübingen, Mohr, 1954. = GKV
,Hermeneutik', in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auflage, 3. Bd., 1969, S. 242­262.


ZUSAMMENFASSUNG
Wahrscheinlich kommt Gadamers Hermeneutik in gewissem Maßen aus der Bultmannschen Schule. In den 50er Jahren, wo die Bultmannsche Schule zur Hermeneutik schrieb, diskutierte und arbeitete Gadamer mit ihr und entwickelte seine Geisteswissenschaftslehre. In der Tat befinden sich trotz einiger Unterschiede beachtliche Gemeinsamkeiten zwischen beiden: 1. Sache und Vorverständnis, 2. Gespräch, 3. Selbstverständnis, 4. Tradition und Wirkung, 5. Immer neues Verstehen. Wenn Gadamer wirklich von der Bultmannschen Schule beeinflußt wurde, kann man sagen, daß er von ihr lernend ihre theologische Hermeneutik philosophisch begründete und damit weiter entwickelte.

Gadamer-Konferenz, Juli 1995, Heidelberg

Etsuro Makita: Gadamer und die Bultmannsche Schule

Beilage: Zitate
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Zitate 1: Methode und Wissenschaft Bultmann: "Im Grund setzt ja jede I
nterpretation der Geschichte eine hermeneutische Methode voraus, eine Methode des Verstehens..." (GE: 123)
Fuchs: "Die theologische Interpetation ist eine existentiale, soweit sie wissenschaftlich ist, also methodisch vorgeht. Insofern erhebt sie den Anspruch auf allgemein verständliche Aussagen..." (PthH: 134f.), "warum wir nicht auf eine Methode verzichten können, die unser Verstehen überprüfbar macht." (WeIB: 104). Vgl. WeIB: 91, 95; PthH: 123.
Ebeling: "die Theologie [hat] vor der Wissenschaftlichkeit der Methode nichts zu fürchten..." (GKV: 78), "Auslegung ist eine der Kontrollierbarkeit ausgesetzte, allgemeinverbindlichen Regeln unterworfene Arbeit" (Ebd., S. 79)
Gadamer: "Die folgenden Untersuchungen knüpfen an diesen Widerstand an, der sich innerhalb der modernen Wissenschaft gegen den universalen Anspruch wissenschaftlciher Methodik behauptet. Ihr Anliegen ist, Erfahrung der Wahrheit, die dem Kontrollbereich wissenschaftlicher Methodik übersteigt, überall auf zu suchen...." (WM: XV), Vgl. WM: 275.

Zitate 2: Erkenntnistheoretische Fragestellung
Bultmann: "Mit solcher Einsicht ist auch die Antwort auf die zweifende Frage gefunden, ob Objektivität der Erkenntnis geschichtlicher Phänomen... zu erreichen sei." (PH: 228f.) Vgl. WE: 115, GE: 129f., 131, 136.
Fuchs: "wie ist unter solchen Umständen noch objektives Verstehen möglich?" (PthH: 118) Vgl. PthH: 134f.

Zitate 3: Interesse an der Sache
Bultmann: "die Interpretation [ist] darauf abgestellt... die durch die Texte direkt vermittelten Sachverhalte zu versthen... Eben das aber ist doch wohl das primäre Interesse derer, die solche [mathematische, medizinische und historische] Texte lesen." (PH: 215. Vgl. IvEm: 146)
Gadamer: "Verstehen [heißt] primär... sich in der Sache verstehen, und sekundär: die Meinung des anderen als solche abheben und verstehen." (WM: 278. Vgl. WM: 168, 361) "Erst das Scheitern des Versuchs, das Gesagte als wahr gelten zu lassen, führt zu dem Bestreben, den Text als die Meinung eines anderen ­ psychologisch oder historisch ­, ,zu verstehen'" (Ebd.)

Zitate 4: Historisches Verstehen
Bultmannn: "die biblischen Schriften wollen keine historischen Dokumente sein, sondern als solche verstanden werden sollen, so müssen sie zuvor historisch interpretiert werden, da sie in einer fremden Sprache reden mit den Begriffen einer uns fernen Zeit." (IvEm: 145)
Gadamer: "Der Entwurf des historischen Horizontes ist also nur ein Phasenmiemnt im Vollzug des Verstehens und ... wird von dem eigenen Verstehehnshorizont der Gegenwart eingeholt." (WM: 290. Vgl. WM: 169)

Zitate 5: Aufsspielsetzen
Bultamnn: "Es gilt nicht, das Vorverständnis zu eliminieren, sondern es ins Bewußtsein zu erheben, es im Verstehen des Textes kritisch zu prüfen, es aufs Spiel zu setzen" (PH: 228).
Gadamer: "Wird ein Vorurteil fraglich... so heißt dies mithin nicht , daß es einfach beiseite gesetzt wird und der andere oder das Andere sich an seiner Stelle unmittelbar zur Geltung bringt... In Wahrheit wird das eigene Vorurteil dadruch recht eigentlich ins Spiel gebracht, daß es selber auf dem Spiele steht." (WM: 283).
(Zwar unterscheidet Bultmann Vorverständnis und Vorurteil, aber das letztere bedeutet bei Bultmann die dogmatische Vorwegnahme des Ergebnisses der Auslegugng, die die Begegnung mit dem Anspruch des Textes erschwert. Aber derselbe Begriff bedeutet bei Gadamer etwas anderes und Gadamer verlangt dem Interpeten die Offenheit für das Wort des Textes.)

Zitate 6: Zugehörigkeit als Bedingung des Verstehens
Bultmann: "Redend... wird die Geschichte erst für den, der selbst in der Geschichte steht und an ihr beteiligt ist. Erst für ihn werden die geschichtlichen Phänomene in ihrem Sinne sichtbar." (WE: 113). Vgl. PH: 229, WE: 115, IvEm: 147 und "Alter Marburger 1957", S. 12.
Gadamer: "Auf Überlieferung hören und in Überlieferung stehen, das ist offenbar der Weg zur Wahrheit, den es in den Geisteswissenschaften zu finden gilt." (WiG: 7)

Zitate 7: Vorrang des Hörens vor dem Sehen.
Bultmann: "Man kann ihn [Gott] nicht sehen, sondern nur hören." (WE: 120) Vgl. Ebd., S. 108.
Fuchs: "unsere Existenz [ist] primär nicht auf das Sehen, sondern auf das Hören bezogen..." (HSG: 57), "Gott will mit uns nicht schriftlich, sondern mündlich sprechen." (WeIB: 106)
Gadamer: "wer angeredet wird, [muß] hören, ob er will oder nicht. Er kann nicht in der gleichen Weise weghören, wie man im Sehen dadruch von anderem wegsieht... Es gibt nichts, was nicht für das Hören mittels der Sprache zugänglich würde." (WM: 348)

Zitate 8: Auslegung als Gespräch
Bultmann: Vielmehr vollzieht sich die wirkliche Begegnung der Geschichte von vornherein nur im Dialog.... nur wenn man bereit ist, den Anspruch der Geschichte zu hören, versteht man überhaupt, worum es sichin der Geschite handelt." (Jesus, S. 7)
Gadamer: "Es ist also ganz berechtigt, von einem hermeneutischen Gespräch zu reden. Dann folgt daraus aber, daß das hermeneutische Gespräch sich wie das wirkliche Gespräch eine gemeinsame Sprache erarbeiten muß..." (WM: 365), "die hermeneutische Aufgabe als ein In-das-Gesprächkommen mit dem Text..." (WM: 374) Vgl. WM: 276, 360, 366, 372.

Zitate 9: Überwindung der Schriftlichkeit
Fuchs: "Wir haben die Mitteilung mit den Texten gegen die Texte als das mündliche Wort zurückzuerobern, das wir selber mit gutem Gewissen weitergeben können. Gott will mit uns nicht schriftlich, sondern mündlich spreche." (ZhP: 108).
Ebeling: "Wort Gottes ist es (Schriftwort) vielmehr als gegenwärtig verkündigtes, als viva vox euangelii, allerdings in der Weise der Auslegung begründet in dem Wort der Schrift, aber so, daß dieses micht als Schrift, sondern als mündliches, d. h. hier und jetzt ergehendes Wort begegnet." (GKV: 14)
Gadamer: "Alle Schriftliche ist... eine Art entfremdete Rede und bedarf der Rückverwandlung der Zeichen in Rede und in Sinn. Weil durch die Schriftlichkeit dem Sinn eine Art von Selbstentfremdung widerfahren ist, stellt sich diese Rückverwandlung als die eigentliche hermeneutiksche Aufgabe." (WM: 371. Vgl. WM: 365, 368)

Zitate 10: Metaphorik der Mündlichkeit
Bultmann: "den Anspruch des Text zu hören"(PH: 230), "das sachliche Hören auf das Wort des Neuen Testaments" (PH: 232)
Fuchs: "die Geschichte spricht." (H: 137), "Hören wir aber auf den Text.." (H: 124).
Ebeling: "Auslegung im jeweiligen Hören auf das Wort der Schrift." (GKV: 14) Gadamer: "Das Überlieferte, das uns anspricht" (WM: 355f.), "dann wird man die Überlieferung so hören..." (WM: 289)

Zitate 11: Selbstverständnis und Tradition
Fuchs: "Unser Selbstverständnis ist also ,,geschichtlich'', weil es im überlieferten Selbstverständlichen ,,gründet'', also immer schon mit einer so oder so ausgelegten Welt umgang hat und darüber mit Andern einverstanden ist." (HSG: 136), "...kann dieses Selbstverständnis... nur nachträglich, nur an der sich dabei neu ergebenden Sprache eines... Einverständnisses ,,begriffen'' werden." (HSG: 137)
Ebeling: "Die Macht und Bedeutung der Tradition... kann sich uns darstellen... darin. daß in Gestalt dieser kirchengeschichtlichen Traditionen in hohem Maß die Entscheidung darüber vorgegeben ist, in welcher Weise kirchliche und christliche Existenz heute möglich ist." (GKV: 85) Gadamer: "In Wahrheit gehört die Geschichte nicht uns, sondern wir gehören ihr. Lange bevor wir uns in der Rückbesinnung selber verstehen, verstehen wir uns auf selbstverständliche Weise in Famile, Gesellschaft und Staat, in denen wir leben." (WM: 261)

Zitate 12: Gegenwärtige Vergangenheit
Ebeling: "Tradition ist... die nicht vergangene Vergangenheit, die sich selbst immer neu vergegenwärtigende Vergangenheit." (GKV: 33)
Gadamer: "schriftliche Überliefrung... sowie sie entziffert und gelesen ist, ist so sehr reiner Geist, daß sie wie gegenwärtig zu uns spricht." (WM: 156) Vgl. WM: 367f.

Zitate 13: Macht der Tradition
Ebeling: "Diese als Tradition sich fortpflanzende und darum gegenwärtig bleibende Vergangenheit ereignet sich nicht als historische Errinnerung, sondern als unmittelbar Geltungsanspruch. Traditon ist verpflichtende Vergangenheit und darum der Zukunft Weiseung gebende Vergangenheit." (GKV: 33) Vgl. HSG: 65.
Gadamer: "Das durch Überlieferung und Herkommen Geheiligte hat eine namenlos gewordene Autorität... stets auch Autorität des Überkommenen [hat]... über unser Handeln und Verhalten Gewalt..." (WM: 264), "Tradition [bestimmt] in weitem Maße unsere Einrichtungen und Verhalten." (WM: 265)

Zitate 14: Wirkung aus der Distanz
Fuchs: "Doch ist anzumerken, daß auch das Urchristentum nicht darauf verzichtet hat, über den Augenblick hinaus zu wirken... Die urchristliche Geschichtsfeindlichkeit ist nicht so exklusiv, daß sie nicht ihrerseits geschichtliche Wirkungen (z. B. das Phänomen des Neuen Testaments) hervorgebracht hätte. Soll also die geschichtliche Analyse des Urchristentums nicht einfach kapitulieren, so wird sie dort anzusetzen haben, wo das Urchristentum geschichtlich gewirkt hat, und fragen, wie sich diese Wirkungen zur Geschichtsfeindlichkeit des Urchristentums verhalten." (HSG: 163)
Gadamer: "Wenn wir aus der für unsere hermeneutische Situation im genzen bestimmenden historischen Distanz eine historische Erscheinung zu verstehen suchen, unterliegen wir immer bereits den Wirkungen der Wirkungsgeschichte. Sie bestimmt im voraus, was isch uns als fragwürdig und als Gegenstand der Erforschung zeigt..." (WM: 284)"

Zitate 15: Zwischen
Fuchs: "Unaufgebar ist die Erkenntnis... daß der historische Abstand unsres Leben von dem der urchristlichen Zeit respektiert werden muß. Aber die aus der historisch-kritischen Methode resultierende Aporie, wie der Geltungsanspruch der Geschichte einerseits und die Ferne des geschichtlichen Lebens vom Heute andererseits zueinander in Beziehung gesetzt werden sollen, zwang zu einer tieferen Besinnung auf die wesentlichen Zusammenhang zwischen der Geschichte und unsrem eigenen Leben." (HSG: 162) Vgl. BhM: 34.
Gadamer: "Die Hermeneutik muß davon ausgehen, daß wer verstehen will, mit der Sache, die mit der Überlieferung zur Sprache kommt, verbunden ist und an die Tradtion Anschluß hat... Auf der anderen Seite weiß das hermeneutische Bewußtsein, daß es mit dieser Sache nicht in der Wiese einer fraglos selbstverständlichen Einigkeit verbunden sein kann..." (WM: 279)

Zitate 16: Das Modell der Übersetzung
Bultmann: "Die Tatsache, daß jeder Interpretation ein Lebensverhältnis zur Sache... zugrunde liegt, läßt sich leicht durch die Besinnung auf den Vorgang des Übersetzens aus einer fremden Sprache, verdeutlichen... Neu gewinnen läßt sich die Kenntnis einer fremden Sprache... nur dann, wenn die durch die Wörter bezeichneten Sachen... vertraut sind..." (PH: 218)
Fuchs: "Jede Übersetzung ist gewaltsam. Deshalb ist auch jede Interpretation gewaltsam... daß sie (Aussagen) durch die Übersetzung aus ihrem Zusammenhang herausgerissen werden, weil wir an unsrer Sprache, an unserem Geiste ,,bildend'' tätig sind, während der Text in einer anderen Sprache, im Zusammenhang mit einem andern Geist wirksam wurde." (H: 103)
Ebeling: "Der Wesenskern allen Auslegens ist dieses Geschäft des Dolmetschens, das Verständlichmachen des Textes durch Übersetzung in die dem Hörer verständlichen Sprache." (GKV: 15), "Hier wäre zunächst darauf zu verweisen, daß auch die rein sprachliche Übersetzung des Bibeltextes grundsätzlich nicht ein- für allemal zu erledigen... keine Übersetzung [ist] dem Original adäquat... Das Ideal einer sogenannten "wörterlichen"...Übersetzung ist ein unerreichbares Phantom." (Ebd., S. 19)
Gadamer: "Die Lage des Übersetzers und die Lage des Interpreten ist also im Grund die gleiche" (WM: 364f.)

Zitate 17: Immer neues Verstehen
Bultmann: "Weil der Text in die Existenz spricht, ist er nie endgültig verstanden. Die existentielle Entscheidung, aud der die Auslegung stammt... muß immer neu vorzogen werden."(IvEm: 150), "Das Verständnis des Textes ist nicht ein definitives, sondern bleibt offen, weil der Sinn der Schrift sich in jeder Zukunft neu erschließt." (IvEm: 149) Vgl. IvEm: 148, 150. Auch vgl. "Gott bleibt immer jenseits des einmal Erfaßten, das heißt: meine Glaubensentscheidung ist nur echt als immer neu vollzogene." (WE: 121).
Ebeling: "bloße Verlesung der Schrift...wäre ja auch nichts anderes als der Versuch einfacher Weiderholung früherer Verkündikung. Daß dies dem Wesen der Verkündidung absolut zuwider ist, liegt offenbat daran, daß sich die Verkündigung an den Menschen in dieser seiner Welt richtet, der mit dieser seiner Welt in ständiger Wandlung begriffene, in der Unwiederholbarkeit des Jetzt existierende Mensch..." (GKV: 23) Vgl. Ebd., S. 24, 82.
Gadamer: "Eine jede Zeit wird einen überlieferten Text auf ihre Wiese verstehen müssen, denn er gehört in das Ganze der Überlieferung, an der sie ein sachliches Interesse nimmt und in der sie sich selbst zu verstehen sucht... Es genügt zu sage, daß man anders versteht, wenn man überhaupt versteht." (WM: 280) Vgl. WM: 292, 295, 323, 355, 375, 448.

Zitate 18: Verstehen als Geschen
Fuchs: "Soll die Rede von Gottes Gegenwrt für uns einen Sinn haben, so muß in dieser Gegenwart etwas geschehen, was in unserer Wirklichkeit Ereignis werden kann." (ZhP: 78) Vgl. H: 122.
Ebeling: (Über Luther) "unterstreicht er, daß Verstehen und Auslegen ein Geschehen sei, in das der Christ verantwortlich mit hineingenommen wird. "(GKV: 14. Vgl. AL: 224)
Gadamer: "Wir hatten gezeigt, daß das Verstehen... das Darinstehen in einem Überlieferungsgeschehen zur Voraussetzung hat. Verstehen erwies sich selber als ein Geschehen..." (WM: 293) Vgl. WM: 274f., 378.
(Bei Gadamer ist es nicht immer klar, was "Geschehen" bedeutet.)

Zitate 19: Umschlag des Selbstverständlichen
Fuchs: "Die Geschichte stellt also unser gegebenes Selbstverständnis sprachlich in Frage. Hören wir [das Wort der Geschichte], so stellen wir uns gegen das Selbstverständliche..." (HSG: 138) Vgl. WeIA: 86.
Gadamer: "Das hermeneutisch geschulte Bewußtsein... wird die das Verstehen leitenden Vorurteile bewußt machen, damit die Überlieferung... sich ihrerseits abhebt... Ein Vorurtel gleichsam vor sich zu bringen, kann...gelingen, nur dann, wenn es sozusagen gereizt wird. Was so zu reizen vermag, ist eben die Begegnung mit der Überlieferung." (WM: 282f.) Vgl. Gadamers Begriff der Erfahrung.